Berliner
Institut für
angewandte
Sozialwissenschaft

Forschungsfelder - USA

In diesem Projekt spielt das Thema der eigenen kulturellen Identität – hier: der Vereinigten Staaten von Amerika - ebenfalls eine zentrale Rolle. Der empirische Zugriff erfolgt aber auf andere Weise. Neben Literatur-und Materialanalysen – unverzichtbaren Schritten einer solchen wissenschaftlichen Arbeit – geht es uns darum, die kulturelle Identität über das kulturelle Gedächtnis zu erschließen. Gerade in den USA (vergleichbar mit der Schweiz, aus ähnlichen Gründen immer wieder notwendiger Integration) spielt die Vergewisserung der eigenen Geschichte an historischen Orten aus Anlass von Jahrestagen historischer Ereignisse (kollektive Traumata, insbesondere aber Triumphe) eine große Rolle. Hier werden geschichtliche Ereignisse (Schlachten, Niederlagen, Siege) im Miniaturformat und symbolisch reinszeniert und so das kulturelle Gedächtnis immer wiederbelebt.

Forschungsprojekt USA – Identität, Erinnerung und Aktualität >

Zusammenfassung und Ziele >

Das geplante Forschungsprojekt soll an bestimmten Orten, Objekten, Ritualen, Inszenierungen und Aktualisierungen untersuchen, wie in der US-amerikanischen Kultur die eigene Geschichte vergegenwärtigt und vermittelt wird.

Dabei soll – das sei hier schon angedeutet - im Unterschied zu in den letzten Jahren weit verbreiteten so genannten kulturalistischen Deutungen, die das tradierte kulturelle Selbstverständnis der USA relativieren und aufsplittern, das Interpretationsspektrum zumindest soweit wieder geöffnet werden, dass auch Interpretationen, die in der Linie dieses traditionellen und nach wie vor für weite Teile der USA charakteristischen Selbstverständnisses liegen (Huntington: Credo) , als legitim angesehen werden. Im Einzelnen werden natürlich die empirischen Ergebnisse der Untersuchungen darüber Auskunft geben.

Hierbei handelt es sich um die Erschließung der Bedeutung der genannten Orte, Objekte, Rituale etc. nach Maßgabe einer sinnauslegenden Methode der Interpretationen kulturelle Objekte als Texte, der sog. objektiven Hermeneutik. Interpretationshintergrund ist ein sozusagen sozialpsychologisch modernisierter Ansatz der Kulturanthropologie, der Culture-and-Personality Ansatz, der nach einer Hoch-Zeit bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts unseres Erachtens zu Unrecht in den letzten Jahren etwas aus dem Blick geraten ist (aber: vgl. die Rezeption des Konzept von Identität und Kultur von Völkern durch Huntington 2004).

Die Auswahl dieser, allgemein gesprochenen, Objekte der Untersuchung folgt der Geschichte der USA. Diese in ihrer „modernen“ Form beginnt ja am Anfang des 17. Jahrhunderts an der Ostküste im heutigen Virginia und wandert in der Richtung und auf der Spur der Jäger und Siedler immer weiter nach Westen. Hier wollen wir uns beschränken auf Raum und Zeit bis zum Erreichen des Mississippi, also bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.

In den USA wie überall in der Welt werden solche Entwicklungen an Orten und Ereignissen fixiert, gestaltet und wieder inszeniert, die typische oder wichtige Momente in diesem Prozess repräsentieren. I. d. R. handelt es sich hierbei um kriegerische Ereignisse, Schlachten, Siege und Niederlagen. Es handelt sich mithin um ausgewählte Triumphe oder Traumata, Ereignisse, die wegen ihrer gefühlsmäßigen Intensität besonders stark und lange in Erinnerung bleiben (vgl. Volkan 1997).

Über und an diesen Objekten werden Daten erhoben in Gestalt von Material, das erzeugt wird (fotografische Dokumentation, Interviews, dichte Beschreibungen etc.), es werden Daten gesammelt in Form von Material, das dort vorhanden und erhältlich ist und es werden Daten gesammelt über Material, dass dort in Gestalt von Inszenierungen, Darstellungen und aktuellen Gestaltungen der Vergangenheit immer wieder erzeugt wird (reenactments).

In einem ersten nur teilweise systematischen Abschnitt der Untersuchung wurden in einer ersten Reise von Osten nach Westen von Jamestown bis nach Ohio Städte und Ereignisse aufgesucht und untersucht bzw. sollen noch aufgesucht und untersucht werden, die sich in diesem Gebiet befinden und den obengenannten Zeitraum zum Inhalt den Gegenstand haben. In der darauf folgenden Auswertung wird dann geklärt werden, welche der konkurrierenden Interpretationen (siehe unten) des historischen Entwicklungsprozesses, der mit dieser Bewegung von Osten nach Westen einhergeht die stichhaltigste, im Material am besten fundierte ist.

Kultur und Erinnerung >

Kulturen erinnern sich an ihre Geschichte durch Texte, Rituale, Denkmale, Gebäude, Feiern und anderes mehr. Sie schaffen und/ oder bekräftigen dadurch ihre kollektive Identität als Gruppe, Stamm, Institution, Ethnie, Religionsgemeinschaft, Nation oder Reich. (vgl. Parsons 1975).

Alle diese kulturellen Objekte sind immer auch Interpretationen der Vergangenheit in der Gegenwart. Sie machen das Vergangene wieder lebendig, indem sie es wieder in Szene setzen. Als Objekt, als Ereignis oder Fest oder als Text. Zwischen dem immergleich wiederholten Ritual und der Variablen und kreativen Neuinszenierung, zwischen dem Nachbeten des immergleichen Kanons und der Übersetzung und Interpretationen des alten Textes in Bezug auf die Gegenwart gibt es ein breites Spektrum. Dies entscheidet über die Entwicklungsmöglichkeiten der Gruppe oder bringt sie umgekehrt zum Ausdruck: Wiederholung des sich Immergleichen und Erstarrung oder kreative Weiterentwicklung und Erneuerung. (vgl. Assmann 1997).

Dem entspricht auch der Inhalt. Seine Weiterentwicklung zeigt sich in der Differenzierung. Bleibt er stets gleich, dann ist er entweder überzeitlich gültig, was auf die Dauer unwahrscheinlich ist, oder er wird immer einseitiger. Differenziert er sich, wird er ein reichhaltiger, nimmt er auch Kritiken oder Gegenpositionen auf und setzt sich mit ihnen auseinander, spricht schon dies für seine größere Stimmigkeit.

Entwicklung von Kultur und Mustern von Identität >

Zur Dynamik der Entwicklung und zwar der individuellen wie der kollektiven sind Charakteristika der Persönlichkeitsstruktur wichtig. Im Falle der USA handelt es sich von der Herkunft her um mobilere Persönlichkeiten, die nicht unbedingt und jedenfalls nicht in erster Linie am überkommenen Festhalten. Das unterscheidet die damaligen Auswanderer von denen, die nicht ausgewandert sondern Zuhause geblieben sind (Raeithel 1981).

Diese Offenheit für neues, ein wesentliches Merkmal der früheren Einwanderer und Siedler vermittelt sich weiter durch drei wichtige Aspekte von Identität. Zum einen das frühe Loslassen von Eltern an die Kinder. Diese haben dadurch Gelegenheit aber natürlich auch Verpflichtung, neues zu probieren zu entwickeln.

Das wird in Pubertät und Adoleszenz deutlich und wichtig, wenn nicht wie in einer „kalten Kultur“ (Erdheim, nach Levi-Strauss) die Übernahme vorgegebener Muster von Identität verlangt wird, sondern wie in einer heißen Kultur die Entwicklung von Neuem.

Es wird ebenso deutlich bei der Freiheit der Partnerwahl. Diese Freiheit der Wahl steht im Gegensatz zur fremdbestimmten Findung eines Partners durch die Eltern, wie in traditionellen Gesellschaften üblich. Da diese in der Regel aus einem Pool der näheren Bekanntschaft oder Verwandtschaft erfolgt (expl. Heiraten zwischen Cousins und Cousinen), sind die Möglichkeiten zu Variationen und damit zu evolutionären Sprüngen und Veränderungen äußerst begrenzt. Das gilt biologisch wie vor allem kulturell.

Das Innovationspotenzial dieser Möglichkeiten der Variation und Wahl gipfelt im Konzept des so genannten „Selfmademan“. Dieser, so der Begriff, schafft sich selbst, seinen Erfolg gründet nur auf ihm, seinen Fähigkeiten und Leistungen. Der Mensch, der sich selbst schafft, der ist keiner Autorität und keinem anderen verpflichtet. Es gibt keine Versicherung. Er hat die Freiheit und er trägt das Risiko, zu scheitern. Das beginnt mit der Auswanderung aus der alten Heimat, der Einwanderung in die USA und schließlich dem dort gestalteten Lebensweg.

Freiheit, Individualisierung und Zivilisationsprozess >

Dieses Potenzial zur Entwicklung von neuem auf der Grundlage der Selbstverwirklichung der einzelnen, ihrer Freiheit, ergibt eine Präferenz für eines von mehreren konkurrierenden Modellen der Deutung des amerikanischen Entwicklungsprozesses, nämlich das als eines Prozesses der Zivilisierung (Mennell 2007 nach Elias, 1996, vgl. auch Pinker 2011 und deMause 2002). Andere Interpretationen haben wohl teilweise auch ihr Recht, bezeichnen aber eher untergeordnete oder randständige oder nur temporär wirklich wichtige Teilaspekte dieses Prozesses: Missionierung, Landraub und Völkermord, Ausbeutung von Boden, Tieren und Menschen, aber auch die Suche nach einem besseren Leben in der Freiheit und Autarkie. Für alle diese Modelle gibt es empirische Belege und es gibt auch entsprechende Konzepte, in denen sie ihr Selbstverständnis und auch ihre wissenschaftliche Repräsentation gefunden haben.

Welche die dominierende Funktion ist und wie sie zu den anderen im Verhältnis steht soll in dem vorgeschlagenen Projekt empirisch untersucht werden.

Kulturen organisieren sich und ihr Selbstverständnis an mentale, an Objekte gebundenen oder in Ereignissen beziehungsweise Ritualen immer erneut wiederholten Erinnerungen. Volkan hat die Thematik der ritualisierten Wiederholung der Erinnerung insbesondere an traumatische Niederlagen wie auch an großartige Triumphe in Gruppen dynamischer und sozial-psychologischer Perspektive ausführlich analysiert (Volkan 1997, vgl. auch andere Arbeiten dazu, Anlage).

Assmann hat das Konzept des kulturellen Gedächtnisses entwickelt, indem aber ebenso in lebendiger Erinnerung, Objekte, Ritualen und Festen die Erinnerung an die Vergangenheit gewahrt oder immer wieder reproduziert wird.

Erinnerung durch Rituale und Inszenierungen >

Zum Thema des Prozesses der Zivilisierung am konkreten Falle der amerikanischen Kultur soll an verschiedenen Reinszenierungen und Reenactments zu verschiedenen als wichtig angesehenen Stationen der amerikanischen Geschichte untersucht werden, wie es sich hier darstellt. Üblicherweise sind es der Erinnerungen an Triumphe oder Traumata, Siege oder Niederlagen gegen oder über bestimmte Feinde, an Schlachten und Kriege, nach denen die Verlaufsgeschichte an ihren Zäsuren aufgeteilt wird. Wichtig für die Frage der Zivilisierung wird sein, wie die Sieger mit sich und mit den Verlierern in der Darstellung der Vergangenheit und ihrer Wiederholung umgehen. Rache und Vergeltung im Vordergrund oder Trauer und Versöhnung, das Trennende oder das Gemeinsame, Leid, Schmerzen, Verlust, oder Ignoranz und Großartigkeit. Anders gesagt, es steht immer auch die Frage der Fortsetzung der Geschichte, der vom jeweiligen Zeitpunkt aus reflektierten oder eben nicht reflektierten Perspektive in eine Zukunft hinein zur Debatte in Höhe und in genau dieser Hinsicht dann auch die der Entwicklung der Dynamik dieser Kultur oder dieses kulturellen Systems.

Als geeignete Fälle sollen exemplarisch durch die Zeit vom Beginn der Erschließung Amerikas im Nordosten durch Niederländer und Engländer ab dem 17. Jahrhundert (Pilgerväter) bis zur Etablierung der Vereinigten Staaten von Amerika zu Beginne des 19. Jahrhunderts solche Gedächtnissgebilde auf ihrer objektiven Bedeutung und zum Teil auch auf ihre Rezeption hin untersucht werden.

Folgte man dem Lauf der Geschichte, dann bieten sich folgende historische Abschnitte/Zäsuren an, auf die hin Orte und Ereignisse untersucht werden sollen:

  • Die erste Landnahme durch englische Siedler im 17. Jahrhundert,
  • der missverständlich als „french-indian-wars“ bezeichnete Krieg der Engländer gegen die Franzosen im 18. Jahrhundert,
  • der Unabhängigkeitskrieg der Amerikaner gegen die Engländer in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts und
  • der US-amerikanische Bürgerkrieg.


Die Auswahl dieser kriegerischen Auseinandersetzungen als Orte bzw. Zeitpunkte der Untersuchung der Aktualisierung von Erinnerung ist zum einen naheliegend: üblicherweise werden diese beziehungsweise mit ihnen verbundenen Ereignisse zum Anlass von Ritualen und Inszenierungen von Erinnerungen ausgewählt. Das hat seinen Grund darin, dass hier oft Situationen von Entscheidungen von großer Tragweite vorliegen und eben dies macht ihre historische Bedeutung aus.

Die Auswahl folgt der Entwicklung der Geschichte Nordamerikas hin zu den Vereinigten Staaten von Amerika auf ihrer ersten Strecke bis hin zu mittleren Westen. Von der ersten dauerhaften Besiedlung zugegeben des 17. Jahrhunderts in Neuengland und Virginia zieht sich eine fortwährende Verschiebung der Besiedlungsgrenze, der „frontier“ von Osten nach Westen durch den Kontinent. Dieser Prozess, der ca. 200 Jahre gedauert hat, vielleicht endend mit dem Kauf Alaskas von Russland im Jahre 1880, war eine andauernde Geschichte immer weiter gehender Zivilisierung, oder auch, wenn man andere Gewichtungen vornimmt, Missionierung, von Landraub und Völkermord, Ausbeutung von Boden, Tieren und Menschen, aber auch die Suche nach einem besseren Leben in der Freiheit und Autarkie (siehe oben die dortigen Aufzählungen konkurrierender Interpretationen dieses Prozesses). Den Zeitunterschieden im Verlauf dieses Prozesses entsprechend wird er auch an den verschiedenen Stationen in immer anderen, der jeweiligen Zeit der, neutral formuliert, Landname entsprechenden Kostümen und Inszenierungen zur Erinnerung inszeniert und bietet sich so in diesen unterschiedlichen Travestien zur Erforschung an.

Darin ist vermutlich auch eine gewisse inhaltliche Tendenz enthalten, die wir in der historischen Entwicklung erblicken, nämlich die zu immer mehr Freiheit, Selbstverantwortung, Selbstentfaltung bei gleichzeitiger Zunahme der Regelungsdichte durch die entsprechenden Rechtsnormen der entstehenden Staaten und des Bundes - also zu mehr Zivilisiertheit (Selbstkontrolle und stattliches Gewaltmonopol), auch wenn dies bis heute nur annäherungsweise der Fall ist und den jeweiligen Inszenierungen nicht immer unmittelbar anzusehen ist. Das ist im Übrigen das klassische Thema etlicher charakteristischer und berühmter Filme aus dem Western- wie dem Gangster-Milieu.

Methoden der Untersuchung >

Nach einer ersten Phase der Sichtung und Erschließung von bereits vorhandenen Ansätzen und Forschungsergebnissen zu dieser spezifischen Thematik sollen die bereits gesammelten Daten noch ergänzt und abschließend zusammengestellt werden. Hierbei handelt es sich um im weiteren Sinne Textmaterialien und Bilder von Erinnerung und kulturelles Gedächtnis repräsentierenden und reaktivierenden Ereignissen und Orten. Hierzu sind schon erhebliche Vorleistungen erbracht, der Datencorpus muss nur ergänzt, eventuell etwas systematisiert werden.

Von der Art der Daten her handelt es sich also um Texte oder kulturelle Gebilde, die im Wege der Beschreibung textförmig gemacht werden können. Neben diesen gewissermaßen naturalistischen Texten treten ergänzend solche, die im Wege der Forschung selbst gewonnen werden wie Transkripte von Interviews oder Gruppendiskussionen oder anderen Äußerungen von einzelnen oder Gruppen. Auf diese Texte richten sich dann Interpretationen, die ihren manifesten und latenten Bedeutungsgehalt erschließen sollen, ein Vorgehen, das wesentlich an der Methode der objektiven Hermeneutik orientiert ist (vgl. Oevermann und andere 2008).

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