Berliner
Institut für
angewandte
Sozialwissenschaft

Forschungsfelder - Politik

Im Arbeitsfeld Politik stand am Anfang die Frage nach der Qualität politischer Führung: gute, konstruktive, die Gesellschaft fördernde Führung auf der einen Seite, schlechte, destruktive, tendenziell ruinöse auf der anderen Seite.

Projekt Krieg, Trauma und Politik

Das Projekt untersucht die Zusammenhänge von Krieg, Trauma und Politik in psychoanalytischer und in Generationenperspektive. Seit dem Ende des „kalten Krieges“ mehren sich neue „heiße“ Kriege, vor allem in Gestalt der so genannten „low intensity wars“ und des Terrorismus. Sie kommen uns näher und involvieren uns auch hier in Europa. So heizen sie den lange eher latenten „clash of civilizations“ an. Sie haben aber auch eine Vorgeschichte in der Gewaltgeschichte Europas und im besonderen Deutschlands. Diese unbewussten historischen Zusammenhänge, Determinanten und Auslöser werden in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und in ihren Folgen für Politik analysiert und auf ihre aktuelle Relevanz hin geprüft.

Aus dieser Arbeit ist die Publikation "Krieg, Trauma, Politik. Gewalt und Generation: Die unbewusste Dynamik" (Frankfurt 2018) hervorgegangen. Hier der Inhalt zum Überblick: >

Einleitung: Krieg, Trauma, Politik - und Psychoanalyse?

1 Jetzt müssen die Waffen sprechen. Krieg als psychopathische Kommunikation und Ende der Politik
2 Traumatisierung durch Krieg und Verfolgung als persönliches und soziales Erbe
3 Etwas fehlt. Die Verleugnung des kollektiven Traumas durch Ausblendung
4 Terrorismus als Angriff auf die Kultur. Zur Bedeutung des 11.9.2001
5 Religion, Kultur, kollektive Traumata und Regressionen
6 Struktur, Funktion und Dynamik von politischer Führung als Container
7 Profiling Political Leaders: Silvio Berlusconi, Verführer und Geschäftsmann
8 Der traumatisierte Ödipus. Zum Verhältnis von Trauma und Trieb in Ödipus komplex und Ödipusmythos

Schluss und Ausblick: Sind wir im Krieg?

Profiling (Political) Leaders

Die Frage nach dem Stil politischer Führung kann zum einen individuell an zentralen Führungspersonen gestellt und beantwortet werden. Das mündet dann in das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen wichtiger Akteure – eine Vorgehensweise, die seit dem Zweiten Weltkrieg von außenpolitischen und militärischen Institutionen unter Zuhilfenahme von Psychiatern und Psychoanalytikern sowie ihrem Fachwissen praktiziert wird. Hier hat das Institut zum einen eine Datenbank erstellt, in der viele solcher Profile gesammelt sind. Ergänzend hat es zu einzelnen politischen Personen der Gegenwart selbst ein solches Profil erstellt und dabei ein eigenes Analyseschema entwickelt.

Analyseschema >

  1. Verhalten/ Syndrom/ Symptome
    Beobachtung
  2. Kommunikation: Selbstoffenbarung/ Appell
    Kommunikationsanalyse
  3. Erleben
    Textinterpretation
  4. Beziehung
    Berichte, Medienanalyse, Übertragung/ Gegenübertragung
  5. Konflikte/ Zentrales Beziehungs-Konflikt-Thema
    Daten
  6. Structural Analysis of Social Behaviour
    Daten
  7. Lebenslauf, Lebensereignisse, typische und kontingente Krisen (Kindheit,Adoleszenz, Erwachsenenalter, Traumata)
    Berichte (Selbst-/Fremd-)
  8. Werke/ kulturelle Kreationen und Gestalten
    Werke
  9. Struktur der Persönlichkeit, Abwehr/ Coping
    Daten
  10. Verarbeitungsmodus, persönlicher und politischer Stil
    Daten
  11. Behaviour related to Stress, Crises, Strategy and Decision-making Behaviour/ Operational Code
    Daten
  12. Leadership Style, Leader-follower-relations
    Daten
  13. Kontext I: Gruppendynamik, Niveau, Prozess, Stil/ Code
    Daten
  14. Kontext II: Kulturelle Dynamik, Niveau, Prozess, Stil/ Code
    Daten
  15. Kontext III: Umwelt, Beziehungen
    Daten
  16. Prognose/ Empfehlungen

Zum anderen können typische Muster der Arbeitsweise von Institutionen, so genannte „operational codes“ herausgearbeitet werden, nach denen führende Gruppen von politischen Entscheidungsträgern „funktionieren". Sie haben so erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, auch wenn sie den Entscheidern gar nicht unbedingt bewusst sind. Hierzu wurde und wird die Fachkenntnis über Gruppendynamik und Entwicklungsprozess von Gruppen insbesondere in Krisen und unter Stress herangezogen.

Diese Dynamiken und Logiken der Entwicklung von Gruppen können auch für die Untersuchung von sog. Großgruppen genutzt werden. Das sind Gruppen ab einer Größe, in der eine persönliche Bekanntschaft und Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern nicht mehr möglich ist, die aber durch die Gemeinsamkeit von Merkmalen wie Sprache, Religion, Nation verbunden sind. Solche Gruppen durchlaufen wie andere Prozesse von Progression und Regression mit oft faszinierenden aber auch erschreckenden Konsequenzen für ihre Mitglieder: Erfolge, Triumphe, Traumata, Verfolgung und Krieg. Krieg als Zusammenbruch der Politik oder auch ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln hat dann auch in dieser Perspektive lange Zeit einen Schwerpunkt der Arbeit des Instituts gebildet.

Projekt Zivilcourage: Gruppendynamik und Nonkonformismus

Das Projekt soll bestimmte Gesichtspunkte von Gruppen untersuchen, die von der bisherigen Gruppenforschung eher vernachlässigt oder unzureichend systematisiert worden sind.

Diese hat in erster Linie auf das Phänomen des Konformismus (und Autoritarismus) in Gruppen abgehoben (Adorno u.a., Lewin, Asch, Milgram u.a.m.).

Zusammenfassung und Ziele >

Hier soll dagegen nonkonformes Gruppenverhalten untersucht werden und dies in der Perspektive von gestaltverändernden Beiträgen zu Struktur, Prozeß und Dynamik der Gruppe. Zentrales Thema sind dafür zum einen das Niveau der Gruppe, das solche produktiven Beiträge ermöglicht, weiter die Interaktionsmuster der Gruppenmitglieder und - in Grenzen - auch die Identitätsmuster von Gruppenmitgliedern, die in der Richtung der Fragestellung erfolgreich sind („Nonkonformisten“, „Reformer“, „Kreative“) wie derer, die ihr entgegenstehen („Konformisten“).

Stand der Forschung >

Hier ist zunächst zwischen differenzierbaren Komplexitätsniveaus der Gruppen zu unterscheiden: Kleingruppen, mittlere Gruppen und Großgruppen (Mikro-, Meso- und Makroebene, vgl. Glasl).

Die Forschung über Kleingruppen hatte nach ihrer Etablierung durch die gruppendynamischen Ansätze der Gestaltpsychologen, insbesondere durch die Arbeiten von Lewin u.a. Ende der 40er Jahre, ihren Höhepunkt in den 70er und 80er Jahren, als mit dem Thema des relativen Egalitarismus der Gruppe auch gesellschaftsverändernde Vorstellungen verbunden wurden („Demokratisierung“) seitdem ist sie massiv abgeflaut, vgl. Sader, Becker-Beck und Schneider.

Über mittlere Gruppen liegen zwar zahlreiche sehr aufschlussreiche Arbeiten vor, insbesondere aus der gruppen-, sozio- und institutionsanalytischen Tradition (Bion, Lapassade, Lourau, Kernberg u.v.a.m.). Hierbei handelt es sich indes eher um “dichte Beschreibungen“ (Glaser/Strauss), die an einem einmal ausdifferenzierten Schema orientiert sind (i.d.R. das der Bion´schen Grundannahmen oder einer allgemeinen Systemtheorie) und dieses über die jeweiligen Fallanalysen hinaus weitere differenzieren, aber keiner wirklich empirischen Überprüfung unterziehen. Zudem sind sie nicht auf die hier pointierte Fragestellung hin zentriert, wenngleich sie vielfach mitthematisiert wird, was einer Sekundäranalyse fruchtbares terrain eröffnet.

Gleiches gilt für die Forschungsarbeiten über Großgruppen. Dieser Begriff diffundiert allerdings derart, dass er Objekte von einer Größe an aufwärts bezeichnet, die man noch mit dem Mesoebenen-Konzept der Organisation ansprechen kann bis hin zu kulturellen Gebilden vom Umfang von Ethnien, Nationen, Staaten oder Kulturen (expl. Ethnien i.S. von Kernberg oder Volkan, historische Einheiten i.S. der Psychohistorie von deMause). Gleichwohl haben die entsprechenden Arbeiten z.T. sehr faszinierende Ergebnisse erbracht, die es als reizvoll erscheinen lassen, hier mehr System und empirische Fundierung hineinzubringen.

Thema und Methoden >

Das Projekt soll sich auf der Mikroebene nach einer Phase einer abschließenden Materialübersicht in erster Linie in einem experimentellen Design bewegen, d.h. Versuche in Gruppen initiieren und ihren Verlauf dokumentieren und auswerten.

Insofern folgt es den „klassischen“ Gruppenexperimenten zu Wahrnehmung, Autoritarismus etc., wie sie seit den 50er Jahren durchgeführt und dokumentiert worden sind (Asch, Milgram u.a.m.). Bereichert durch die zwischenzeitlichen Befunde v.a. zur Überhomogenisierung von Gruppen unter Stress mit deletären Folgen für ihre Aufgabenwahrnehmung und Entscheidungsfindung (expl. Janis: „Groupthink“) sollen hier v.a. solche Experimente durchgeführt werden, die den Fokus der Gruppe (wieder) erweitern, die Gruppe dehomogenisieren, um so mehr Kreativität, „diversity“ und Komplexitätsbewältigungschancen zu schaffen. Diese dann durch Überwindung und Bewältigung der zwangsläufig auftretenden Dissonanzen und Konflikte wieder produktiv in den Gruppenprozess zu integrieren, ist die logisch folgende weitere Perspektive, in der auch auf entsprechende Integrationsverfahren (Coaching, Mediation etc.) Bezug zu nehmen wäre. Neben dem experimentellen Design soll auch ein feldforschungsorientiertes entwickelt werden. Hier kommen als Objekte reale kooperierende Gruppen = Teams in den Blick, expl. aus dem Mannschaftssport oder aus charakteristischen Arbeitszusammenhängen, hier möglichst kontrastierend.

Auf der Mesoebene ist an zunächst ein bestimmtes Fallbeispiel gedacht bzw. einen Typus von Fallbeispielen, nämlich Orchester. Sie erfällen von Größe, Aufgabenorientierung, innerer Differenziertheit, Dynamik, Entwicklung/ Prozeß, differrenzierter Führungsstruktur, externer Umwelt u.a. Gesichtspunkten zahlreiche Anforderungen an mittlere Gruppen, sind variabel genug um eine Zwischenstellung zwischen fließender Gruppe und fester Organisation mit Langzeitmitgliedschaftsrolle darzustellen, lassen sich am Verhältnis Struktur-Oprozeß und Ergebnis/ Werk messen und vergleichen und schließlich gibt es einen exquisiten Zugang zu ihnen über einen avisierten Projektmitarbeiter.

Auf der Makroebene soll zunächst eine ausführliche Literaturrezeption und –analyse erfolgen, die sich darauf richtet, wo und wie die hier interessierenden Fragestellungen in den jeweiligen Studien (Culture and Personality Approach Ethnopsychoanalyse, Psychohistory etc.) bearbeitet worden sind. Experimentelle designs sind hier schlecht vorstellbar, aktuelle Fallanalysen liegen indes vor (Volkan) und scheinen auch reproduzierbare bzw. sich reproduzierende typisierbare innere Ablauflogiken zu haben, die sich rekonstruieren (und dann prognostizieren) lassen.

Die eingesetzen Beobachtungs- und Auswertungsmethoden sind soweit bisher absehbar die gängigen Methoden zu Untersuchung von Interaktionsprozessen in Gruppen und Organisationen (vgl. zusammenfassend Antons). Sie sollen in einem exemplarischen Durchgang auf ihre spezifische Eignung für die jeweiligen Untersuchungsobjekte geprüft werden. Daneben ist an ergänzende Literaturberichte über Spezialfragen gedacht, expl. sozialisatorische und Arbeits-Gruppen im Kulturvergleich (Europa/USA vs Ostasien/China/Japan).

Eigene Vorarbeiten >

Publikationen über Gruppen, Organisationen und Institutionen und sozialwissenschaftliche Untersuchungsmethoden Prof. Dr. Wolf:
  • Das Unbewusste in der Organisation – zur Dynamik von Organisation, Gruppe und Führung; in: Wolf, M. (Hrsg.): Frauen und Männer in Organisationen und Leitungsfunktionen. Unbewusste Prozesse und die Dynamik von Macht und Geschlecht. Frankfurt 2002, S. 141-184
  • Die Analyse der Institution; in: Wolf, M. (Hrsg.): Selbst, Objekt und der Grundkonflikt. Psychoanalytische Beiträge zur Psychosentherapie, institutionalisierten Abwehr und Aggression. Frankfurt 2001, S. 83-100
  • Institutionsanalyse und Sozioanalyse. in: Pühl, H. (Hrsg.): Handbuch der Supervision 2, 2. Aufl. Berlin 2000, 132-150 (Ed. Marhold/ Spiess)
  • Das Unbewußte in der Organisation. Zur Psychodynamik von Leitungsfunktionen, Teamprozessen und Mitarbeiter-/ Klientelbeziehungen, in: Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (Hrsg.): Psychoanalyse und andere Wissenschaften, Frankfurt 1998 (mit C. Leiendecker)
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